Rothaar meets Rothorn: Meine Mini-Auszeit auf dem Brienzer Rothorn

Soviel vorweg: bräuchte man zum Bloggen seine Beine und Füsse, hätte dieser Beitrag keine Chance gehabt, heute online zu gehen. Ich spüre jeden einzelnen Quadratzentimeter von den Hüften bis runter zur grossen Zeh. Wir sprechen hier von sagenhaften 96 Zentimetern Jammer-Strecke. Lange Beine haben eben nicht nur Vorteile.

Trotz Wehwehchen blicke ich voller Dankbarkeit auf zwei wundervolle Wandertage im Berner Oberland zurück. Wobei das nicht ganz korrekt ist, denn das Brienzer Rothorn gehört offiziell zum Kanton Luzern und ist mit seinen 2349 Metern sogar der „höchste Luzerner“ (Ja, genau so habe ich auch gekuckt…). Wer wie ich, über das idyllische Berner Oberland via Thun, Interlaken und Brienz anreist, der hat Luzern so überhaupt nicht auf der Rechnung und ist bei der Ankunft auf dem Gipfel entsprechend perplex.

Die Fahrt in der nostalgischen Dampf-Zahnradbahn, der Brienz Rothorn Bahn,  ist ein Muss. Geduldig und tapfer stampft sich das bald 130 jährige Vehikel Meter für Meter voran. Welch Leistung dies tatsächlich ist, sollte ich noch am eigenen Leib erfahren. Aber erst mal galt es, sich zurückzulehnen und die bequeme Anfahrt zu geniessen.

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Die Fahrt mit der nostalgischen Dampf-Zahnradbahn ist ein Muss!

Hinter jeder Kurve offenbart sich einem ein neues Panorama und je höher man kommt, desto selbstbewusster zeigen sich einem die ganz Grossen der Schweizer Alpen – allen voran das Trio Eiger, Mönch und Jungfrau.

Meine knapp vierstündige Anreise mit all seinen „Hachs“ und „Wows“ machte hungrig und nach einem flüchtigen Blick auf die Speisekarte des Bergrestaurants gab es kein Pardon mehr: die Rothorn Röschti musste her, aber dalli! 😋

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Röschti with a view…

Frisch gestärkt begab ich mich schliesslich zur Rezeption des Berghauses Rothorn Kulm. Drei Tage zuvor war ich durch eine Internet-Annonce auf das Brienzer Rothorn und das schmucke Berghaus aufmerksam geworden und fragte spontan per E-Mail an, ob für die Nacht von Freitag auf den Samstag noch ein Einzelzimmer zu haben wäre. Ich zögerte einen Moment, bevor ich auf den Senden-Button klickte.  Für die ganze Woche waren im Flachland Temperaturen weit über 30 Grad Celsius angesagt. Ich würde bestimmt nicht die Einzige sein, die – noch dazu am Wochenende – in kühlere Gefilde entfliehen würde und stellte mir vor, wie sich die ganze Berghaus-Crew über meine kurzfristige Anfrage vor Lachen krümmte. Aber nix dergleichen: wenige Stunden später flatterte die Reservationsbestätigung herein – DAS war ja leicht!

Mein Zimmer war äusserst charmant und heimelig. Und der Blick aus dem Fenster schlicht unbezahlbar.

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Room with a view… (Stimmung bei Sonnenaufgang)

Nach dem Zimmerbezug schnallte ich meine Wanderschuhe an und knöpfte mir den Weg zum Gipfel des Rothorns vor. Mich interessierte vorallem der Blick Richtung Norden und Osten. Man soll hier über das Entlebuch hinweg den Pilatus und die Rigi sehen – das wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Doch statt eines fetten Panoramas gab es nur fette, graue Wolken zu sehen. Der Anblick erinnerte an den Kanton Aargau im Herbst 😏
Etwas später an dem Abend rissen die Wolken dann aber mindestens eben so plötzlich wie sie aufgezogen waren wieder auf und so erklomm ich die Spitze eben ein zweites Mal: Rothaar meets Rothorn!

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Rothaar 👩‍🦰 meets Rothorn ⛰️

 

«Den Sonnenuntergang auf der Terrasse des Berghauses zu geniessen, ist wie mit offenen Augen zu träumen.»
Monika Tuschy, Berghaus Rothorn Kulm

(Zitat-Quelle: https://brienz-rothorn-bahn.ch/berghaus/)

Ich kann die Aussage von Frau Tuschy nur bestätigen…

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Auch die Dampf-Zahnradbahn hat Feierabend…
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Sonnenuntergang auf dem Brienzer Rothorn.

…dasselbe gilt übrigens auch für den Sonnenaufgang.

Am nächsten Morgen wachte ich ohne Wecker um 5.20 Uhr aus meinem Dornröschenschlaf auf und war damit pünktlich zum Sonnenaufgangspektakel zur Stelle. Man weiss hier gar nicht so genau, wohin man seinen verschlafenen Blick zuerst richten soll.

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Sonnenaufgang auf dem Brienzer Rothorn mit Sicht auf den Pilatus und die Rigi.

Nach dem leckeren Frühstück war packen angesagt. Hoch motiviert zurrte ich die Senkel meiner Wanderstiefel fest, setzte Kopfbedeckung und Sonnenbrille auf und füllte meine Wasserflaschen auf. Von nun an gings buchstäblich bergab.

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Auf dem Bild ist eine Jungfrau zu sehen – wer findet sie? Such-Quiz 🙂

Auf der Planalp befand sich die Mittelstation der Brienz Rothorn Bahn. Hier hätte ich notfalls auf die Schiene wechseln können, falls mir der Downhill-Marsch allzu sehr in die Knie gegangen wäre. Mit dieser Option im Hinterkopf setzte ich optimistisch und kraftvoll einen Schritt vor den anderen.

Unterwegs galt es drei Schneefelder und einige Kuhherden zu durchqueren. Und natürlich kommt einem die süsse Nostalgie-Bahn ab und zu in die Quere. Es gibt definitiv Schlimmeres!

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Schiene kreuzt Fussweg: fast wie in Downtown Zürich.
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tschipfu tschipfu Isebahn 🚂

Mit einem aufwärts keuchenden Wandervogel tauschte ich mich kurz über den jeweils vor uns liegenden Weg aus. So erfuhr ich, dass das Stück nach der Planalp runter bis Brienz nicht unterschätzt werden sollte und stellenweise ziemlich steil sei. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich für das letzte Stück auf die Bahn wechseln würde, stieg ab diesem Zeitpunkt markant an.
Doch als ich die Planalp auf 1347 Metern erreichte, war ich gut bei Kräften. Ich beschloss mir in der flauschigen Alp-Beiz eine erfrischende Apfelschorle zu gönnen und anschliessend zu entscheiden, ob ich die letzte Etappe zum See aus eigener Muskelkraft zurücklegen oder die gemütlichere Variante nehmen würde.
Der Weg war hier sehr breit und übersichtlich. Ich entschloss, ein Stück weit zu wandern und notfalls zur Planalp zurückzukehren. Das Drama zeichnete sich nach vielleicht 20-30 Wanderminuten langsam ab. Zuerst war nur ein kurzes Stück steil, bevor sich der Weg wieder gemütlich abfallend durch den Wald dahinschlängelte. Doch diese kurzen Wegstücke häuften sich und wurden ausserdem zunehmend länger und gerölliger. Doch Umdrehen war längst keine Option mehr. Also biss ich auf die Zähne (und einmal sogar auf die Unterlippe… 🙄)  und erreichte Brienz endlich mit reichlich schlotternden Knien. Ich weiss gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal dermassen weiche Knie hatte. Vermutlich steckte damals ein Mann dahinter. Ich sagte: vermutlich.

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Am See reanimierte ich meine tot geglaubten Füsse und Unterschenkel im eisig kalten Brienzersee, um sie anschliessend in einer schattigen Ecke für ein paar kostbare Augenblicke auf der Ufermauer hochzulagern.
Im flauschigen Gartenbeizli des Hotels Bären stärkte ich mich mit einem köstlichen Forellenfilet auf buntem Salatbouquet. Dann führte mich der Weg der schönen Seepromenade entlang zum Bahnhof.

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Mein Wander-Gspänli entlang der Brienzer Seepromenade war ein echter Holzkopf. Psssssst…. das bleibt unter uns, gelled?!

Direkt gegenüber des Bahnhofs liegt der Hafen und der Zufall wollte es, dass just zehn Minuten nach meinem Eintreffen das Kursschiff nach Interlaken ablegen würde. Es brauchte nicht allzuviel Überredenskunst, um mich von meinem ursprünglichen Plan, nämlich die Heimreise ab Brienz im Zug anzutreten, abzubringen. Und so schwang ich meinen müden Hintern an Deck der MS Irgendwas und summte ein vergnügtes „Seemann, lass das Träumen. Denk‘ nicht, an Zuhaus’…“ vor mich hin.

Ich genoss den Perspektivenwechsel und zwinkerte dem Brienzer Rothorn ein letztes Mal keck zu. Es hatte sich inzwischen mit der einzigen Wolke weit und breit verbündet und gemeinsam thronten sie friedlich vor sich hin…

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Perspektivenwechsel: Blick vom Schiff auf das Brienzer Rothorn (direkt unter der rechten Wolke)

Trotz – oder vielleicht gerade wegen – der zwischenzeitlichen Momente, an denen ich an meinen physischen Grenzen geschnuppert hatte, wird mir mein spontaner Ausflug auf das Brienzer Rothorn – den höchsten Luzerner, übrigens! 🤓 – noch lange in Erinnerung bleiben, wetten?!

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Krönender Abschluss eines Bilderbuchtages: chillige Schifffahrt von Brienz nach Interlaken.

Übrigens: hatte ich schon erwähnt, dass mir heute meine Beine schmerzen?

Ich werd‘ ja wohl noch fragen dürfen?!??