Reif fĂŒr die Insel. Welche ist egal. Oder doch nicht?

Es war an einem Sonntagvormittag Anfang November 2016. Nebst den PrĂ€sidentschaftswahlen in den USA stand auch die Adventszeit quasi vor der TĂŒr und die ersten Einladungen fĂŒr WeihnachtsanlĂ€sse flatterten ins Haus. Ich  sass mit meinem besten Freund gemĂŒtlich beim Brunch, als wir gemeinsam feststellten, dass wir unseren Körpern eigentlich viel lieber den Luxus von Ruhe und Bewegung an der frischen Luft gönnen wollten, als sie der drohenden Hektik und Völlerei auszusetzen. Biken wĂ€re toll. Beispielsweise. Es war ein prickelnder Gedanke, den wir auf jeden Fall noch mindestens eine Runde weiterdenken wollten. Nach zwei, drei NĂ€chten darĂŒber schlafen stand unser Entschluss schliesslich fest: ja, wir wollten weg.

Uns war bewusst, dass die Weihnachtszeit eine beliebte Reise-Saison ist und wir uns entsprechend zĂŒgig fĂŒr eine Destination entscheiden sowie FlĂŒge und Unterkunft buchen sollten, um am Ende nicht doch noch besinnlich unter dem Tannenbaum zu landen. Also machten wir uns sofort an die Arbeit und surften fleissig durch das Internet. Relativ rasch stiessen wir dabei auf Lanzarote. Die Kanaren-Insel wurde uns als regelrechtes Mekka fĂŒr Bike-Enthusiasten angepriesen. Das klang toll. „Au ja, das ist es!“, riefen wir wie aus einem Munde, „…und ich kann gleichzeitig mein  Spanisch weiter vertiefen, juhui!“, fĂŒgte ich euphorisch hinzu.

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Wir teilten uns die erforderlichen Buchungen gerecht unter einander auf. WĂ€hrend ich mich schnurstracks um die FlĂŒge und die Unterkunft bemĂŒhte, kĂŒmmerte sich mein Freund voller Elan um die Bikes und einen Mietwagen. Nachdem alle Buchungen und Reservationen getĂ€tigt waren und damit unser Gesamt-Paket unter Dach und Fach schien,  stiessen wir voller Vorfreude mit einem Glas Cava auf unseren Coup an. Den klitzekleinen FlĂŒchtigkeitsfehler der sich in unserem Buchungsprozedere eingeschlichen hatte, bemerkten wir erst spĂ€ter. Viel spĂ€ter. Eigentlich zu spĂ€t. Oder auch nicht. Aber eins nach dem anderen…

In den folgenden Wochen vor der Abreise durchlebten wir beide geschĂ€ftlich eine regelrechte Jahresend-Rally. Projekte und Tasks prasselten auf uns nieder, als obs kein Morgen, als obs kein 2017 gĂ€be und so waren wir am vierten Advents-Wochenende schliesslich mehr als nur reif fĂŒr die Insel. Die letzten E-Mails waren beantwortet, die Ferienvertretungen geklĂ€rt, die Taschen gepackt. Nun konnte nichts mehr schiefgehen. Eigentlich. Dachte ich…

Am Abend vor dem Abflug nach Arrecife/Lanzarote leitete mir mein Freund noch die BestĂ€tigung der Mietwagen-Reservation weiter, die bereits seit Wochen in seinem E-Mail Postfach vor sich hin schlummerte. „Damit du dann morgen auf der Insel auch Bescheid weisst…“ notierte er salopp dazu und schloss die Nachricht mit einem gutgelaunten Smiley. Ich setzte mich an meine KĂŒchenbar, nippte an einem Pfefferminztee und scrollte mich durch das Anschreiben des Mietwagen-Anbieters. Dabei stolperte ich ĂŒber die Worte Reina SofĂ­a. „Oh?!“, schoss es mir spontan durch den Kopf, „ich wusste gar nicht, dass der Flughafen von Arrecife auf Lanzarote gleich heisst, wie derjenige auf der Schwesterinsel Teneriffa…“. Ich war bereits zwei mal auf Teneriffa (mehr dazu gibt’s ĂŒbrigens im Artikel Die Kraft des Atlantiks oder wie man zufĂ€llig einen Halbmarathon lĂ€uft) und kenne den Flughafen dort daher ziemlich gut. Neugierig geworden zoomte ich in die entsprechende Passage des E-Mails hinein und realisierte allmĂ€hlich, dass die FlughĂ€fen der beiden Kanareninseln NICHT gleich hiessen. Sofort rief ich meinen Freund an. Bestimmt hatte er die BestĂ€tigungsmail fies manipuliert, um meine Aufmerksamkeit zu testen – zuzutrauen wĂ€r’s ihm ja! Doch sein Gestotter verriet mir, dass es kein Fake war. Nein, unser Auto wĂŒrde morgen um 16.00 Uhr tatsĂ€chlich auf Teneriffa fĂŒr uns bereitstehen, wĂ€hrend unsere Taschen 400 Kilometer weiter westlich auf Lanzarote ĂŒber das Kofferband tuckerten. Heiliger Bimbam!

Nachdem der erste Schreck verdaut war, machte mein Freund das einzige, was er in dieser Situation tun konnte: er stornierte die Reservation auf Teneriffa und setzte gleichzeitig eine Anfrage an die Filiale auf Lanzarote ab. Im Vertrauen darauf, dass am Ende eh immer alles gut wird und es vor Ort dann bestimmt irgendeine Lösung geben wĂŒrde, schlummerte ich schliesslich selig dem herbeigesehnten Abreisetag entgegen.

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Auf dem Weg zum Flughafen und am Gate checkte mein Freund im 10-Minuten-Takt seine E-Mails. Doch die erhoffte ReservationsbestĂ€tigung blieb aus. Dann hiess es schliesslich „Fasten Your Seatbelts“ und unsere Smartphones fielen fĂŒr die nĂ€chsten 4 Stunden in ihren wohlverdienten Dornröschenschlaf.

Nachdem wir unsere Taschen vom Kofferband geschnappt hatten, stellten wir uns mit leicht mulmigem BauchgefĂŒhl beim Autovermieter an die Theke. Ein sympathischer junger Mann, mit zimtfarbenem Teint und strahelndweissen ZĂ€hnen lĂ€chelte uns entgegen. Auf seiner linken Brust war ein Schild. „Pedro“ stand darauf. Pedro hiess uns auf Lanzarote willkommen und fragte, was er fĂŒr uns tun könne. Ich hörte, wie mein Freund ihm – ebenfalls sehr freundlich, aber bestimmt  – erklĂ€rte, dass wir gestern eine Reservationsanfrage eingereicht hĂ€tten, bis jetzt jedoch noch keine Antwort erhalten hĂ€tten. Augenblicklich zogen sich die Lachfalten um Pedros Mundwinkel zurĂŒck, um Sekunden spĂ€ter auf seiner Stirn in Form von Sorgenfalten wieder aufzutauchen. Pedro versicherte uns, wie unangenehm ihm die Angelegenheit sei. Dezent murmelte er, dass 24 Stunden vor Ankunft zwar schon etwas knapp seien fĂŒr eine Reservation, aber dass wir dennoch lĂ€ngst eine Antwort auf unsere Anfrage hĂ€tten erhalten mĂŒssen. Er entschuldigte sich mehrmals in aller Form und klickte gleichzeitig nervös in seinem Computer herum. WĂ€hrend mein Freund – seinen rechten Ellbogen lĂ€ssig auf der Theke abgestĂŒtzt – sich seine Emotionen nicht anmerken liess, stand ich mit ersten Anzeichen von Schnappatmung daneben. „Aber… Moment… das ist doch nur die halbe Geschichte… also höchstens… herrje…“ stammelte ich innerlich vor mich hin. Pedro tat mir leid. Er war doch nicht Schuld an unserer Misere. Ich nahm einen tiefen Atemzug und wollte schlichtend in das Geschehen eingreifen. In diesem Moment zog Pedro einen SchlĂŒssel aus der Schublade, begann mit dem AusfĂŒllen eines Formulars und entschuldigte sich erneut fĂŒr die Unannehmlichkeiten. Ja, es war nur die halbe Geschichte, die mein Freund da von sich gab, aber es war verdammt noch mal die richtige HĂ€lfte. Und so stand ich einfach nur perplex wie Babsi daneben und entschloss mich, das zu tun, was ich am besten kann: Klappe halten!

Kurze Zeit spĂ€ter sassen wir in einem weissen Opel Corsa mit FahrradtrĂ€ger am Heck (es war ĂŒbrigens der einzige Wagen mit FahrradtrĂ€ger in der ganzen Garage), gaben die Adresse des Hotels ins Navi ein und quitschten kurz darauf los in Richtung Costa Teguise.
Nach gut 20 Minuten Fahrt strandeten wir in einer Sackgasse. Das Navi behauptete steif und fest, dass wir hier unser Ziel erreicht hĂ€tten. Doch hier gab es kein Hotel – weit und breit nicht. „Fahr da rein!“ wies ich meinen Freund an, „dort vorn ist bestimmt die Einfahrt zum Hotel, siehst du?“ – „Ich kann doch da unmöglich reinfahren! Das ist die Strand-Promenade. Sieh nur die vielen Leute!“ – „Ach, jetzt fahr halt mal die zwanig Meter vor, dann sehen wir, ob das dort tatsĂ€chlich die Hoteleinfahrt ist.“ Ich mag MĂ€nner, die in brenzligen Situationen einfach tun, was man von ihnen verlangt, ohne langes Tamtam. Und so holperte unser Corsa auch schon zielstrebig ĂŒber die Pflastersteine…
Wir schafften nicht mal die vorgenommenen 20 Meter, da ertönte auch schon  eine schrille Sirene und im RĂŒckspiegel erblickten wir das rotierende Blaulicht eines Streifenwagens. „Das macht dann 40 Euros, por favor!“ gab uns der Polizeibeamte – in scharfem Tonfall zwar, aber mit einem charmanten Grinsen im Gesicht – zu verstehen. Die Costa Teguise hat echt einiges zu bieten, aber in dem Moment waren wir hier die Hauptattraktion. Die FussgĂ€nger zeigten auf  unseren Corsa, schĂŒttelten den Kopf oder hielten sich den Bauch vor lachen. Einige taten sogar alles gleichzeitig. FĂŒr mich fĂŒhlte sich das gerade wie die gerechte Strafe fĂŒr unser nicht ganz astreines Spiel beim Auto-Vermieter an. Nun waren wir aber quitt, ey!
WĂ€hrendem wir unsere Euros hervorkramten erklĂ€rten wir dem Polizisten, dass wir gerade vom Flughafen kĂ€men und unser Navi der Meinung sei, dass da vorne unser Hotel, das BarcelĂł, stĂŒnde. Der Polizist kassierte und bot uns dann an, uns zum Hotel zu lotsen. Wir sollten einfach hinter ihm herfahren. Die Zufahrt zum Hotel war in der Tat etwas verwinkelt. Wir wĂ€ren da definitiv noch lange herumgeirrt. Die 40 Euros waren am Ende jedenfalls gut investiertes Geld. 😉

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