Rückblick auf das ☝️mit Abstand ☝️ skurrilste Jahr seit Doedelgedenken

[Bildlegende: Dieses Bild aus meiner Kindheit ist für mich das ultimative Symbolbild für das Jahr 2020. Begonnen hat alles ganz friedlich und in guter Absicht, aber dann ging es nur noch abwärts und der Schreck stand uns ins Gesicht geschrieben.]

Ich habe mich am Neujahrstag mit Günnter*, meinem inneren Schweinehund, über das Ausnahme-Jahr 2020 unterhalten.

Günnter: Hallo mein Sonnenschein frohes, neues Jahr! Eigentlich wollten wir dieses Gespräch ja gestern Abend, also an Silvester führen. Wir hatten es uns dafür schon auf der Couch gemütlich gemacht. Der letzte Abend des unglaublichen Jahres 2020, er hätte ja so entspannt sein können

Doedel: Hallo mein lieber Schweinehund – auch dir ein frohes und vor allem gesundes neues Jahr!

Ja, das Gespräch war ursprünglich gestern, im Anschluss an unser romantisches „Dinner for One“ geplant. Aber dann flatterte mir diese Anzeige von Swissqueya, einer brandneuen Online-Zumba-Plattform, auf den Bildschirm und da gab es kein Halten mehr. DAS war der Startschuss für eine beispiellose Silvester-Dance-Challenge wie sie zumindest unser Single-Haushalt noch nie erlebt hatte. Das Erste, was ich im neuen Jahr dringend brauchte war eine Dusche 🙂

Bewegung scheint zu einer Art Routine für Silvesternächte zu werden. Letztes Jahr schlurften wir stundenlang durch die Strassen Bariloches.

Tatsächlich! Vor genau einem Jahr, am ersten Weihnachtstag 2019 um präzis zu sein, brachen wir beide zu unserem Abenteuer ans Ende der Welt auf. Nach einer kleinen Verschnaufpause in Buenos Aires erreichten wir pünktlich zum Jahreswechsel unser neues Zuhause am malerischen Lago Nahuel Huapi im nördlichen Patagonien. Für uns war in jener milden Silvesternacht sonnenklar: DAS würde ein verdammt gutes Jahr werden! (Mehr dazu im Artikel Das exklusive Interview zum Jahreswechsel 2019/2020)

Heute, am Neujahrstag des Folgejahres, scheint die ganze Welt einfach nur froh zu sein, dass 2020 endlich der Vergangenheit angehört. 2021 kann nur besser werden, lauten die Kernbotschaften der Schlagzeilen…

Dass wir im Jahr 2020 geschlagene zwei Monate reisend verbringen durften, grenzt retrospektiv an ein kleines grosses Wunder. Was für ein Glück, dass wir es gerade noch rechtzeitig zurück nach Hause geschafft hatten, puh! (genehmigt sich einen zünftigen Schluck vom Ingwertee)

Mit Verlaub, das haben wir hauptsächlich meiner Wenigkeit zu verdanken. Du wolltest ja ursprünglich noch einige Wochen dranhängen. Es brauchte einiges an Überredenskunst meinerseits, pah! (zieht die rechte Augenbrauen streng nach oben)

Du hast ja recht. Ich erinnere mich, wie ich beim Buchen des Rückflugs eigentlich die zweite März-Hälfte im Visier hatte, dann aber intuitiv doch auf ein Datum Ende Februar wechselte. Es war letztlich eine Bauchentscheidung, gespickt mit einer Prise Schweinehund-Vernunft (zwinkert), der ich es verdanke, nicht Teil der grössten Rückholaktion der Schweiz geworden zu sein. Es sind solche Erlebnisse, die das Vertrauen in mein Bauchgefühl stärken. Seit vielen Jahren schon. Was wäre ich bloss ohne mein Bauchgefühl, was wäre ich bloss ohne dich? ❤

Oh, ein Komplidings…. wie lieb von dir! Nun, inzwischen sind wir seit zehn Monaten zurück. Wie beurteilst du unsere „Zeit am Ende der Welt“ heute, also mit etwas Abstand?

(schmunzelt ab der Formulierung „mit Abstand“) Es war eine famose Zeit. Die Vormittage standen voll und ganz im Zeichen meiner grossen Leidenschaft für die spanische Sprache. Nachmittags unternahm ich Ausflüge in der für Outdoor-Aktivitäten bekannten Region rund um Bariloche oder ich arbeitete für eines meiner Hochschul-Projekte. Ich sass dann am Küchentisch, tippte Konzepte, brütete über kniffligen Spezifikationen und wertete die Ergebnisse einer Umfrage aus. Ich nannte es „erweitertes Homeoffice“. Mir gefiel das Modell an einem komplett anderen Ort einem Teil der gewohnten Arbeit nachzugehen. Zurück am Campus wollte ich das Modell mit all seinen Vorzügen und Grenzen meinen Kolleginnen und Kollegen schmackhaft machen. Aber bevor es dazu kommen konnte, äfften mich bereits alle nach indem sie sich ALLE in ihre Homeoffices verzogen hatten.

(kichert kurz und schlägt dann die Hände über dem Kopf zusammen)

Die Schweiz befand sich von einem Tag auf den anderen im Ausnahmezustand und Homeoffice war behördlich angeordnet, wo immer es möglich war.

Gütiger Himmel! Es galt Notrecht. Lockdown. Rien ne va plus. Bämm! Das war vielleicht ein Hammer.

Allerdings. Geleitet von meinem Bauchgefühl (zwinkert) holte ich am Vorabend des Lockdown drüben bei Melectronic ein 5 Meter langes HDMI-Kabel – es war das allerletzte im Regal. Es sollte eine der lohnenswertesten Anschaffungen des Jahres werden. Nebst dem Homebike, versteht sich. Und dem Ticket auf das Jungfraujoch. Und… egal: das Kabel ist jedenfalls längst amortisiert!

Hach ja… und dann blieben wir einfach mal zu Hause, genossen die Frühlingssonne lesend auf der Terrasse, unternahmen entspannte Spaziergänge und erste Velo-Touren und gingen generell alles wundervoll entschleunigt an.

Naja, nebenbei haben wir ja noch ein bisschen gearbeitet. Die Hochschule stellte von einem Tag auf den anderen den Präsenzunterricht ein. Im Zuge des Übergangs auf „Distance Teaching & Learning“ gab es im Hintergrund einiges zu Schwurbeln. Pragmatisches Handeln war gefragt – „liefere statt lafere“ lautete die Devise. Eine verrückte Zeit!
An das Homeoffice-Dasein war ich ja bereits gewohnt. Doch anders als im fernen Patagonien jagte am heimischen Küchentisch nun eine Videokonferenz die nächste. Mir wurde rasch klar, dass eine WorkLife taugliche Tagesstruktur her musste. Ein Hoch an dieser Stelle auf unseren PlanDö…

(hebt die rechte Hand spontan zum HighFive an, bemerkt die pandemiebedingte Unpässlichkeit des gegenseitigen in die Hände Klatschens jedoch sofort und streicht sich mit der Hand stattdessen eine Haarsträhne aus der Stirn)

…das Zwischenfazit von PlanDö nach der ersten Quarantäne-Woche liess sich jedenfalls sehen. Die allermeisten Vorsätze daraus blieben mir sogar über all die Monate erhalten und entwickelten sich unterdessen zur Routine. Punktuelle Anpassungen ergaben sich im Zuge der kontinuierlichen Weiterentwicklung von PlanDö – etwa dass die ursprüngliche Treppenhaus-Challenge durch kurze Einheiten auf dem Homebike abgelöst werden konnte. Aber im Grossen und Ganzen passt der Plan nach wie vor gut.

In dem erwähnten Zwischenfazit vergleichst du unser Leben im Lockdown mit Robinson Crusoe auf seiner einsamen Insel und dessen Warten auf bessere Zeiten (aka Freitag). Hand aufs Herz: wie einsam bist du?

Nun, als vor inzwischen neun Jahren mein neues Leben begann, war es mein oberstes Ziel, alleine klarzukommen. Das Alleinsein war damals eine komplett neue Erfahrung für mich. Schliesslich bin ich mit achtzehn Jahren quasi aus meinem Kinderzimmer direkt mit meiner grossen Liebe zusammengezogen und verbrachte die folgenden achtzehn Jahre an seiner Seite. Für den Start in mein neues Leben war es daher essenziell, dass ich alleine glücklich sein und ein erfüllendes Leben führen konnte. Natürlich war es ein ordentlicher Lernprozess, aber er hat sich gelohnt. In der Nachbetrachtung fühlen sich die vergangenen paar Jährchen wie die behutsame Vorbereitung auf das Jahr 2020 an.

Das Jahr 2020 bestand aus Einschränkungen an allen Ecken und Enden. Wie hast du, als durch und durch freiheitsliebendes Geschöpf, diese Zeit überstanden?

Zum Glück war Wandern und Biken ja jederzeit möglich. Ich bin dankbar für viele schöne Wanderungen im Alpstein, im Engadin, im Berner Oberland, im Wallis etc.. Die Woche in Zermatt bleibt mir in besonders toller Erinnerung, etwa das Outdoor-Fondue nach der Wanderung vom Gornergrat runter ins Dorf an meinem Geburtstag. In Zermatt für einmal praktisch ausschiesslich Schweizerdeutsch zu hören, war schon sehr speziell. Dasselbe galt für Interlaken. Corona sei Dank bot sich mir dort denn auch spontan die Möglichkeit auf das Jungfraujoch zu fahren – dies noch dazu an einem wahrlichen Bilderbuchtag.
2020 war nicht nur das Jahr der grossen Einschränkungen. Es war auch ein Jahr von möglicherweise einmaligen Chancen. Unter dem Strich hat mir 2020 durchaus auch die Augen geöffnet und mich zu Aktionen veranlasst, die ich sonst wohl nicht umgesetzt hätte.

Zum Beispiel?

Ich habe in den vergangenen Monaten gelernt zu kochen. Das Ganze entstand natürlich aus der Not heraus, weil ja die Restaurants bis Mitte Mai geschlossen blieben. Also musste ich selbst ran. Denn eine gesunde, ausgewogene Ernährung war schliesslich eines der erklärten Ziele von PlanDö (mehr dazu im Artikel Leben wie Robinson Crusoe – nur die Insel fehlt.). Aber was wirklich zählt und ich kaum je für möglich gehalten hätte: Kochen bereitet mir inzwischen tatsächlich Spass.

In den Herbstferien schliesslich habe ich mir meine Wohnung vorgeknöpft und ein ziemlich umfangreiches Umkrempelprojekt gestartet. Die Kurzfassung: ich habe mein düsteres Ankleidezimmer zu einem lichtdurchfluteten Wintergarten mit chilliger Lounge umgebaut. Auch Workouts sind dank der grossen Spiegelfront darin nun möglich. Ich könnte mir sogar ein Büro einrichten, wenn ich denn wollte. Ich kann in dem Zimmer nun eigentlich alles machen – ausser mich ankleiden (schmunzelt). Ich habe mit dem Projekt zusätzlichen Wohnraum geschaffen, was meine Zeit im Winter-Homeoffice massiv aufwertet und vermutlich will ich dann, wenn irgendwann wieder so etwas ähnliches wie das alte Leben zurückkehrt, gar nicht mehr raus (lacht). Ursprünglich dachte ich ja, das Projekt wäre nach der grossen „Umbau-Aktion“ im Herbst abgeschlossen. Aber dem ist nicht so, denn laufend kommen mir neue Ideen – es entwickelt sich allmählich zu einem „never ending project“! (lacht)

Während dem Sommer, drückte ich jeweils am helllichten Mittwochnachmittag die Schulbank – und zwar in Bariloche. Ja, du hast richtig gehört! Ich stand nach wie vor in Kontakt mit der Schulleiterin und da kristallisierte sich die Idee von Online-Lektionen heraus. In Argentinien galt zu der Zeit strikte Ausgangssperre. Die Plauderstunden per Skype waren da durchaus eine Win-Win-Situation. Und ich lernte nebenbei – also nebst dem, dass ich immer fliessender spanisch stotterte – viel über die Geschichte des Landes und des südamerikanischen Kontinents generell. Und wer sich mit der südamerikanischen Geschichte auseinandersetzt kommt nicht an der europäischen vorbei. Ich musste tatsächlich das eine oder andere europäische Kapitel auffrischen, um die Zusammenhänge bzw. Implikationen auf Südamerika zu verstehen oder zumindest besser einordnen zu können. Und wenn man mal weltgeschichtlich an einer Ecke eingetaucht ist, ist es schwierig wieder aufzutauchen und jedenfalls habe ich inzwischen auch einiges über andere Kontinente oder einzelne Länder vertieft – es ist fast schon eine Sucht.

Das klingt nach einem Vulkan an Ideen für den kreativen und intellektuellen Zeitvertreib. Der Stoff geht uns wohl so schnell nicht aus, das ist schön!

Hmmm…. nun, eine Frage beschäftigt mich schon seit einigen Tagen. Sie ist mir etwas unangenehm. Ich traue mich gar nicht richtig, sie zu stellen…

Na komm schon, raus damit!

(nimmt nochmals einen Schluck Brennesseltee)
Naja.. es geht um die Impfung. Ich meine: wir werden uns doch nicht etwa pieksen lassen?!

Ich dachte schon, du fragst nie! Doch, das werden wir, aber alles zu seiner Zeit. Jetzt sind erst mal die besonders schutzbedürftigen Personengruppen dran.

Du meinst damit den Bundesrat und die Zürcher Promis. (rollt diskret mit den Augen) Ernsthaft: warum sollten wir uns das antun? Ich meine, gegen die Grippe haben wir uns ja auch noch nie impfen lassen.

Das stimmt. Die Grippeimpfung stand noch niemals zur Debatte. Aber die Ausgangslage ist nun eine völlig andere. Während die Grippe-Impfung eine egoistische Entscheidung erträgt, baut die Impfung gegen Covid-19 auf eigenverantwortlichem Handeln und wird dadurch zu einer altruistisch geprägten Entscheidung – also einer Entscheidung zugunsten der Allgemeinheit, des grossen Ganzen. Es geht hier für einmal nicht nur um uns, verstehst du?! Der ganze Impf-Zirkus nutzt schliesslich erst dann etwas, wenn sich ein wesentlicher Teil der Bevölkerung impfen lässt. Dazu möchte ich meinen bescheidenen Teil beitragen.

Apropos „alkoholistisch“… (leckt sich mit der Zunge gierig über die Oberlippe) meinst du, wir könnten uns zur Feier des heutigen Neujahrstages…

Altruistisch. Ich sagte altruistisch!

Oh. Das muss dieser Alkoholentzug sein, mit dem du mich seit gefühlten Lichtjahren quälst.

Seit dem letzten Gläschen Malbec, drüben am chilligen Puerto Madero von Buenos Aires sind sage und schreibe zehn Monate und dreizehn Tage vergangen. Dabei war es ursprünglich ja nur der Plan gewesen, den traditionellen „Dry January“ aufgrund der Reise auf März zu verschieben. Aber dann war März und mit ihm nichts mehr wie früher und mein Verlangen nach Alkohol blieb komplett aus. Irgendwann wird die Lust auf ein Gläschen Rioja oder einen Aperol Spritz vielleicht wieder erwachen. Bis dahin geniesse ich dieses neue Lebensgefühl. Es bekommt mir verdammt gut.

Vielleicht würde ich der Impfung ja gelassener gegenüberstehen mit einem Schlückchen Rioja intus, nur einem ganz kleinen?

NEIN! (boxt energisch in eines der feuerroten Couch-Kissen)

Gerade als leidenschaftliche Weltenbummler steht es uns verdammt nochmal nicht zu, ein Theater in dieser für die Welt zentralen Impffrage zu veranstalten. Zu oft liessen wir uns in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren am Tropeninstitut beraten und schluckten daraufhin die eine oder andere Pille. Und seien wir ehrlich: einige davon ohne ernsthaft mit der Wimper zu zucken.

Trotzdem wird die Covid-Impfung gerade äusserst kontrovers diskutiert. Andere vertreten doch auch egoistische Haltungen, warum wir nicht?

Ich kann nur unser eigenes Tun und Denken steuern. Ich fände es ja schon ein vielversprechender Anfang, wenn „andere“ sich konsequenterweise über die Zutatenlisten und möglichen Langzeitfolgen von Energydrinks, Zigaretten und anderen Pfuiteufeleien mindestens genauso viele Gedanken machen würden, wie um den Inhalt einer Impfampulle zu Bekämpfung einer Jahrhundert-Pandemie.

Du scheinst in dieser Sache entschlossen, da muss ich, im Sinne des Kollegialitätsprinzips, wohl mitziehen. Aber wie du schon sagtest: es bleibt uns ja noch etwas Zeit bis dahin…

Themawechsel! Ich weiss ja nicht, wie es dir ergeht, aber bei mir kommt so langsam aber sicher Hunger auf (reibt sich mit der flachen Hand über den Bauch). Wollen wir uns was Leckeres kochen?

Das ist eine ganz wundervolle Idee! (schnippt Wickie-Style mit den Fingern in die Luft) 👩‍🍳

Na dann: herzlichen Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch an diesem erten Tag des Jahres 2021, dem Jahr, in dem alles besser werden wird! (schmunzelt)

Ich hab zu danken. Danke für deine Offenheit und deine Inspiration. Schön, dass es dich gibt, mein lieber Schweinehund! (formt mit Daumen und Zeigefingern ein Herz in die Luft)

*Ich nenne meinen inneren Schweinehund liebevoll „Günnter“. Immer wenn er ins Spiel kommt, lautet die Gretchenfrage: Günnter (schweizerdeutsch für „gewinnt er?“) oder „Günnter nöd?“ (gewinnt er nicht?)

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Ich habe die ersten zwei Monate des Jahres 2020 im südlichen Argentinien, in Patagonien, verbracht und habe während dieser Zeit viel über den argentinischen Alltag gelernt. Einkaufen in Patagonien fühlte sich an wie Advent: man wusste nie, was sich am nächsten Tag hinter dem (Supermarkt-)Türchen verbergen mochte. An die halbleeren Supermarktregale musste ich mich zuerst gewöhnen. Aber auch in anderen Situationen galt es in Argentinien flexibel, pragmatisch und geduldig zu bleiben – etwa an der Bushaltestelle, am Bancomaten oder in der Schlange vor der Supermarktkasse.
Ich bin nun seit genau einem Monat zurück in der Schweiz und stelle fest: same, same but different. Auch hier waren die Supermarktregale in den letzten Tagen nicht zu jedem Zeitpunkt prall gefüllt, auch hier haben sich Bus- und Zugfahrpläne geändert und jedenfalls hat meine Auszeit am «Ende der Welt» in der Nachbetrachtung den Charakter eines Feldtests erlangt.

Ich fühle mich in diesen Tagen zugegeben etwas hilflos. Ausserstande irgendetwas gegen das, was da unaufhaltsam auf uns zurollt ausrichten zu können, hocke ich in meinem improvisierten HomeOffice und überlege, wie ich die nächsten Wochen oder Monate über die Runden kommen werde und welchen Beitrag ich selbst in dieser misslichen Lage leisten kann. Ich habe keinen medizinischen Hintergrund. Kann ich überhaupt etwas beitragen? Ich habe diese Frage mit Günnter*, meinem inneren Schweinehund, diskutiert.   

Günnter: Einen wunderschönen guten Sonntagmorgen, meine Liebe. Heute scheint ein trüber Tag zu werden. Wir könnten mal wieder auf der Couch abhängen?   

Doedel: Guten Morgen, mein lieber Schweinehund. Gute Idee, genau das werden wir heute wohl tun. Wir bleiben zuhause. So, wie wir auch morgen und übermorgen und generell die nächsten Tage und Wochen zuhause bleiben werden.

Nanu?! Wie kommt es zu dieser langfristigen Prognose? 

Wir stehen unter Corona-Quarantäne. #staythefuckhome lautet der vom Bundesrat unmissverständliche Appell an die Schweizer Bevölkerung. Natürlich hat er das netter formuliert, aber inhaltlich ändert sich nichts daran. Wer nicht unbedingt raus muss, bleibt gefälligst zuhause, wäscht sich die Hände regelmässig und hält mindestens zwei Meter Abstand zu Menschen, welche nicht im gleichen Haushalt leben. Hazel Brugger hat es neulich in einem ihrer Tweets wunderbar treffend auf den Punkt gebracht:

Stell dir vor, draussen ist Corona aber niemand geht hin.
(@hazelbrugger)

Die behördlich verordnete Quarantäne gilt vorerst bis zum 19. April. Bis dahin harrt jeder auf seiner Insel aus.

Sind wir zurzeit nicht alle ein bisschen Robinson Crusoe?

Klingt krass. Wird uns da – auf unserer „einsamen Insel“ – nicht irgendwann die Decke auf den Kopf fallen? 

Genau dies gilt es tunlichst zu vermeiden! Aber dazu später.

Als bekennende Minimalistin sind Stichworte wie Verzicht und Loslassen grundsätzlich keine Fremdwörter für mich. Ich bin ein kinderloser Single und bin es gewohnt, einen beachtlichen Teil meiner Zeit alleine zu verbringen. In der aktuellen Situation habe ich mit dieser Vorgeschichte möglicherweise eine begünstigte Ausgangslage. Trotzdem stand und stehe auch ich in diesen Tagen vor neuen Herausforderungen rund um die Bewältigung meines Alltags. Mittlerweile habe ich immerhin einen Plan zur Hand – den sogenannten PlanDö (Anmerkung der Redaktion: das „Dö“ steht für „Doedel“).

Einen Plan zu haben klingt doch schon mal vielversprechend?! Welches Hauptziel verfolgt dieser Plan?

Nun, das Wesentliche was ich, was jeder einzelne von uns – nebst der strikten Einhaltung der Hygienevorschriften – zur allgemeinen Lage beitragen kann, ist zu sich selbst Sorge zu tragen. Ich empfinde es in dieser verzwickten Lage tatsächlich als meine persönliche Pflicht und Verantwortung, mit all meinen Kräften dafür zu sorgen, nicht selbst zum Problem zu werden – weder für mich, noch für mein unmittelbares Umfeld und am allerwenigsten für unser Land mit seinen ausreichend strapazierten Ressourcen. Selbst gesund und fit zu bleiben ist daher das deklarierte Ziel von PlanDö! Ich habe die wichtigsten Eckpunkte in einer Art „Pflichtenheft“ für mich festgehalten.  

Was genau muss ich mir unter diesem Pflichtenheft vorstellen?

Ich zitiere an dieser stelle den entsprechenden Eintrag aus Wikipedia – pass auf!

„Das Pflichtenheft beschreibt in konkreter Form, wie der Auftragnehmer die Anforderungen des Auftraggebers zu lösen gedenkt. […]“

Verstehe. Und wer ist in unserem Fall nun der Auftragnehmer?

Na wir selbst, wer denn sonst?!

Okay… hmmm, und wer fungiert denn dann in der Rolle des Auftraggebers?

Auch wir! Herrje, bitte tue mir den Gefallen und denke mal ein bisschen mit! Es liegt doch sowas von auf der Hand, dass die beiden Rollen in Personalunion besetzt werden müssen – es ist ja sonst keiner da! (boxt energisch auf eines der drei feuerroten Couch-Kissen)

Huch… ähm… ja klar, ich versuche es, also mitzudenken, versprochen! (blickt verlegen vor sich hin)

Na los: beweise mit deiner nächsten Frage, dass du ein cleveres Bürschchen bist!

(Wischt sich den Schweiss von der Stirn, wäscht sich danach gründlich die Hände und kehrt schliesslich auf seinen Platz zurück)

(Räuspert) Nun, was sind die wesentlichen Eckpunkte deines… äh… unseres Pflichtenhefts? 

Voilà, geht doch! Vielen Dank für diese äusserst intelligente nächste Frage! (streckt den rechten Daumen aus der geballten Faust Richtung Decke)

(purzelt vor Erleichterung schier vom Hocker) 

Die Eckpunkte des Pflichtenhefts sind: eine gesunde Ernährung, tägliche Workouts, eine klare Tagesstruktur. Darüber hinaus möchte ich für meine Liebsten aber auch für Freunde und Kollegen da sein, wenn sie mich brauchen.

Was genau verstehst du unter einer „gesunden Ernährung“?

Ich ernähre mich auch ausserhalb von Mega-Krisen grundsätzlich gesund. In der aktuellen Situation und mit dem erklärten Ziel von PlanDö, selbst glimpflich durch diese Krise zu kommen, wird eine gesunde, ausgewogene Ernährung jedoch noch ein Spürchen wichtiger.
Ich nehme täglich drei Mahlzeiten zu mir. Zum Frühstück mag ich mein traditionelles Porridge aus Haferflocken, Pflanzenmilch und einer Portion frischen Früchten, dazu einen Kaffee. Mittag- und Abendessen bestehen aus einer zünftigen Portion Gemüse – nach Möglichkeit frisch zubereitet, dazu eine Eiweisskomponente nach Wahl – also Käse, Eier, Fisch, Hülsenfrüchte, ab und zu ein Stück Fleisch.
Ich trinke täglich 2-3 Liter Ingwerwasser. Für einen zusätzlichen Vitamin-C-Kick füge ich den ersten beiden Portionen den Saft einer frisch gepressten Zitrone hinzu. Hihi… eine kleine Anekdote am Rande: einmal habe ich den Zitronensaft irrtümlich anstatt ins Ingwerwasser in den Kaffee geschüttet. Das war vielleicht ein Muntermacher, ey! (lacht und klopft sich dabei mit der flachen Hand auf den Schenkel)
Last but not least verzichte ich zurzeit auf Alkohol. Dies primär weil Alkohol für mich nicht sonderlich förderlich ist, um einen klaren Kopf zu bewahren. Und den brauche ich aktuell mehr denn je, also den klaren Kopf, meine ich.

Wow – ich muss zugeben: bis hierhin gefällt mir dieser Plan. Und er scheint einfach umsetzbar zu sein. Die Anforderung nach täglichen Workouts erscheint mir unter Quarantäne dagegen wesentlich kniffliger? 

Das ist tatsächlich so. Aber auch dafür gibt es pragmatische Ideen. Das Treppenhaus wird sich schon wundern, weshalb ich die fünf Stockwerke derzeit immer mal wieder mehrmals hintereinander hoch und runterklettere. (schmunzelt)

Funktionales Training, also Übungen mit dem eigenen Körpergewicht, lässt sich gut im Wohnzimmer praktizieren. Insbesondere die Rücken- und Rumpf-Muskulatur gilt es gezielt zu stärken. Mein improvisiertes Homeoffice an der Küchenbar ist zwar chic, fällt aber ergonomisch hochgradig durch. Jedenfalls erscheint es mir sinnvoll zu sein, den unvermeidbaren Fehlhaltungen mit ein paar gezielten Moves präventiv entgegenzuwirken.

Virtuelle Workouts auf Youtube haben gerade Hochkonjunktur. Selbst habe ich das bisher jedoch noch nicht ausprobiert. Ich bin froh, zwischendurch mal etwas ohne Bildschirm zu unternehmen. Es ist aber gut, über das Angebot Bescheid zu wissen, um bei Bedarf Abwechslung in den Workout-Alltag zu bringen.

Ein Lichtblick am Horizont: in den nächsten Tagen sollte mein faltbares Home-Bike angeliefert werden. Ich hatte es letzte Woche, als sich die Lage absehbar zuspitzte, kurzerhand in einem Schweizer Online-Store bestellt.

Das ist ja ein bunter Blumenstrauss an kreativen Ideen, ich bin beeindruckt! Und was hat es mit der klaren Tagesstruktur auf sich, die du im Pflichtenheft besonders hervorhebst?

Eine gesunde WorkLife-Balance aufrecht zu erhalten erscheint mir gerade mit der eingeschränkten Bewegungsfreiheit ein zentrales Element zu sein. Ich versuche, meine übliche Tagesstruktur so gut wie möglich aufrecht zu erhalten.

Ich stehe morgens zur gewohnten Zeit auf und nehme mir als erstes ca. 10 Minuten Zeit für einen gründlichen „Bodycheck“. Ich konzentriere mich dabei mit geschlossenen Augen auf meinen Atem und klappere sodann gedanklich jeden Winkel meines Körpers ab. Durch diesen systematischen Check glaube ich, allfällige Alarmzeichen meines Körpers oder meiner Seele frühzeitig zu erkennen und gezielt bearbeiten zu können. Der Bodycheck funktioniert bei mir am allerbesten mit leerem, frischen Kopf, deshalb nehme ich mir direkt nach dem Aufstehen bewusst Zeit dafür. Anschliessend geht’s ab unter die Dusche.

Als Frühstücksunterhaltung mag ich Hörbücher. Aktuell höre ich die Biographie von Alexander Humboldt – die ist übrigens sehr spannend, ich kann sie nur empfehlen. Hörbuch hören hat einen günstigen Nebeneffekt: Ich trainiere damit gleichzeitig aufmerksam zuzuhören und aufmerksames Zuhören erscheint mir eine wertvolle, durchaus systemrelevante Kompetenz zu sein – nicht nur in der Krise.

Aber zurück zum Tagesablauf.

Nach dem Frühstück baue ich meine Küchenbar – es ist der einzige Tisch, den ich habe – von der Frühstückstafel zum Homeoffice um. Dazu stelle ich den Bildschirm, den ich mir von meinem eigentlichen Arbeitsplatz ausgeliehen habe, auf die Tischplatte, verbinde meinen Laptop damit, krame Bluetooth-Tastatur und -Maus hervor und schon bin ich einsatzbereit. Da ich einem Team mit flexiblen Arbeitsplatz-Zonen angehöre, ändert sich ausser der Umgebung eigentlich nicht viel an der gewohnten Arbeitsplatzsituation. Meetings finden per Videokonferenz statt. Das ist an sich nichts grundlegend Neues und funktioniert soweit ganz gut.

Nach ungefähr 4 Stunden knurrt mein Magen und ich bereite mir mein Mittagessen zu. Bei schönem Wetter setze ich mich zum Essen auf meine Terrasse. Bei schlechtem Wetter, baue ich mein Homeoffice ab und rüste die Küchenbar zur Lunch-Tafel um.

Moment… könntest du nicht einfach Bildschirm und den ganzen Büro-Kram zur Seite schieben? Der Tisch ist doch gross genug?!

Es sind psychologische Gründe, die mich zu diesem Mehraufwand bringen. Ich mag nicht vor dem PC essen. Ich bin tatsächlich zu vielen Veränderungen bereit, aber dazu nicht. 

Verstehe. Und nach dem Lunch baust du alles wieder um und arbeitest dort weiter, wo du vor der Mittagspause stehengeblieben bist?

Jein. Ich nutze die Mittagspause um gezielt relevante News abzurufen. Dazu nutze ich aktuell ein paar wenige, sorgfältig ausgewählte Informationskanäle. Ich brauche Fakten. Das wirre Durcheinander und Gebrüll auf den sozialen Medien raubt mir unnötig viel Energie, die mir andernorts dann womöglich fehlt. Auch hier gilt für mich: weniger ist mehr.
Anschliessend knöpfe ich mir das Treppenhaus vor (schmunzelt) oder mache ein paar Dehnübungen auf der Yogamatte. Und dann, erst dann geht es zurück an die Arbeit.

(hustet kurz in die Armbeuge)

Zu einer gesunden WorkLife-Balance gehört auch der Feierabend. In der Regel irgendwann nach 18 Uhr fahre ich meinen Computer herunter und baue mein Homeoffice ab. Je nach Lust und Laune gibt es vor oder nach dem Abendessen ein kleines Workout. Danach ziehe ich mich mit einem Buch auf meine Couch zurück. Oder ich schreibe. Oder ich schaue eine Episode meiner aktuellen Netflix-Serie – auf spanisch. (klopft sich selbstbewusst auf die Schulter).

Ich habe den Eindruck, um dich bzw. um uns muss ich mir vorerst keine Sorgen machen. Stimmt diese Annahme?

So ist es. Keine Panik auf der Titanic!

Das beruhigt mich ausserordentlich! Magst du abschliessend noch etwas zur allgemeinen Lage loswerden?

Lasst uns, wie Robinson Crusoe, geduldig und hoffnungsvoll auf Freitag warten. Es werden bessere Zeiten folgen, davon bin ich überzeugt.

Herzlichen Dank, liebste Doedel, für dieses klärende Interview und weiterhin einen erholsamen Sonntag auf der Couch. 

Ich habe zu danken, mein lieber Schweinehund. Wir sollten uns öfter Zeit für einander nehmen – hab dich lieb! (formt mit Daumen und Zeigefingern ein Herz in die Luft)

*Ich nenne meinen inneren Schweinehund liebevoll „Günnter“. Immer wenn er ins Spiel kommt, lautet die Gretchenfrage: Günnter (schweizerdeutsch für „gewinnt er?“) oder „Günnter nöd?“ (gewinnt er nicht?)