Ich habe die ersten zwei Monate des Jahres 2020 im südlichen Argentinien, in Patagonien, verbracht und habe während dieser Zeit viel über den argentinischen Alltag gelernt. Einkaufen in Patagonien fühlte sich an wie Advent: man wusste nie, was sich am nächsten Tag hinter dem (Supermarkt-)Türchen verbergen mochte. An die halbleeren Supermarktregale musste ich mich zuerst gewöhnen. Aber auch in anderen Situationen galt es in Argentinien flexibel, pragmatisch und geduldig zu bleiben – etwa an der Bushaltestelle, am Bancomaten oder in der Schlange vor der Supermarktkasse.
Ich bin nun seit genau einem Monat zurück in der Schweiz und stelle fest: same, same but different. Auch hier waren die Supermarktregale in den letzten Tagen nicht zu jedem Zeitpunkt prall gefüllt, auch hier haben sich Bus- und Zugfahrpläne geändert und jedenfalls hat meine Auszeit am «Ende der Welt» in der Nachbetrachtung den Charakter eines Feldtests erlangt.
Ich fühle mich in diesen Tagen zugegeben etwas hilflos. Ausserstande irgendetwas gegen das, was da unaufhaltsam auf uns zurollt ausrichten zu können, hocke ich in meinem improvisierten HomeOffice und überlege, wie ich die nächsten Wochen oder Monate über die Runden kommen werde und welchen Beitrag ich selbst in dieser misslichen Lage leisten kann. Ich habe keinen medizinischen Hintergrund. Kann ich überhaupt etwas beitragen? Ich habe diese Frage mit Günnter*, meinem inneren Schweinehund, diskutiert.
Günnter: Einen wunderschönen guten Sonntagmorgen, meine Liebe. Heute scheint ein trüber Tag zu werden. Wir könnten mal wieder auf der Couch abhängen?
Doedel: Guten Morgen, mein lieber Schweinehund. Gute Idee, genau das werden wir heute wohl tun. Wir bleiben zuhause. So, wie wir auch morgen und übermorgen und generell die nächsten Tage und Wochen zuhause bleiben werden.
Nanu?! Wie kommt es zu dieser langfristigen Prognose?
Wir stehen unter Corona-Quarantäne. #staythefuckhome lautet der vom Bundesrat unmissverständliche Appell an die Schweizer Bevölkerung. Natürlich hat er das netter formuliert, aber inhaltlich ändert sich nichts daran. Wer nicht unbedingt raus muss, bleibt gefälligst zuhause, wäscht sich die Hände regelmässig und hält mindestens zwei Meter Abstand zu Menschen, welche nicht im gleichen Haushalt leben. Hazel Brugger hat es neulich in einem ihrer Tweets wunderbar treffend auf den Punkt gebracht:
Stell dir vor, draussen ist Corona aber niemand geht hin.
(@hazelbrugger)
Die behördlich verordnete Quarantäne gilt vorerst bis zum 19. April. Bis dahin harrt jeder auf seiner Insel aus.
Sind wir zurzeit nicht alle ein bisschen Robinson Crusoe?
Klingt krass. Wird uns da – auf unserer „einsamen Insel“ – nicht irgendwann die Decke auf den Kopf fallen?
Genau dies gilt es tunlichst zu vermeiden! Aber dazu später.
Als bekennende Minimalistin sind Stichworte wie Verzicht und Loslassen grundsätzlich keine Fremdwörter für mich. Ich bin ein kinderloser Single und bin es gewohnt, einen beachtlichen Teil meiner Zeit alleine zu verbringen. In der aktuellen Situation habe ich mit dieser Vorgeschichte möglicherweise eine begünstigte Ausgangslage. Trotzdem stand und stehe auch ich in diesen Tagen vor neuen Herausforderungen rund um die Bewältigung meines Alltags. Mittlerweile habe ich immerhin einen Plan zur Hand – den sogenannten PlanDö (Anmerkung der Redaktion: das „Dö“ steht für „Doedel“).
Einen Plan zu haben klingt doch schon mal vielversprechend?! Welches Hauptziel verfolgt dieser Plan?
Nun, das Wesentliche was ich, was jeder einzelne von uns – nebst der strikten Einhaltung der Hygienevorschriften – zur allgemeinen Lage beitragen kann, ist zu sich selbst Sorge zu tragen. Ich empfinde es in dieser verzwickten Lage tatsächlich als meine persönliche Pflicht und Verantwortung, mit all meinen Kräften dafür zu sorgen, nicht selbst zum Problem zu werden – weder für mich, noch für mein unmittelbares Umfeld und am allerwenigsten für unser Land mit seinen ausreichend strapazierten Ressourcen. Selbst gesund und fit zu bleiben ist daher das deklarierte Ziel von PlanDö! Ich habe die wichtigsten Eckpunkte in einer Art „Pflichtenheft“ für mich festgehalten.
Was genau muss ich mir unter diesem Pflichtenheft vorstellen?
Ich zitiere an dieser stelle den entsprechenden Eintrag aus Wikipedia – pass auf!
„Das Pflichtenheft beschreibt in konkreter Form, wie der Auftragnehmer die Anforderungen des Auftraggebers zu lösen gedenkt. […]“
Verstehe. Und wer ist in unserem Fall nun der Auftragnehmer?
Na wir selbst, wer denn sonst?!
Okay… hmmm, und wer fungiert denn dann in der Rolle des Auftraggebers?
Auch wir! Herrje, bitte tue mir den Gefallen und denke mal ein bisschen mit! Es liegt doch sowas von auf der Hand, dass die beiden Rollen in Personalunion besetzt werden müssen – es ist ja sonst keiner da! (boxt energisch auf eines der drei feuerroten Couch-Kissen)
Huch… ähm… ja klar, ich versuche es, also mitzudenken, versprochen! (blickt verlegen vor sich hin)
Na los: beweise mit deiner nächsten Frage, dass du ein cleveres Bürschchen bist!
(Wischt sich den Schweiss von der Stirn, wäscht sich danach gründlich die Hände und kehrt schliesslich auf seinen Platz zurück)
(Räuspert) Nun, was sind die wesentlichen Eckpunkte deines… äh… unseres Pflichtenhefts?
Voilà, geht doch! Vielen Dank für diese äusserst intelligente nächste Frage! (streckt den rechten Daumen aus der geballten Faust Richtung Decke)
(purzelt vor Erleichterung schier vom Hocker)
Die Eckpunkte des Pflichtenhefts sind: eine gesunde Ernährung, tägliche Workouts, eine klare Tagesstruktur. Darüber hinaus möchte ich für meine Liebsten aber auch für Freunde und Kollegen da sein, wenn sie mich brauchen.
Was genau verstehst du unter einer „gesunden Ernährung“?
Ich ernähre mich auch ausserhalb von Mega-Krisen grundsätzlich gesund. In der aktuellen Situation und mit dem erklärten Ziel von PlanDö, selbst glimpflich durch diese Krise zu kommen, wird eine gesunde, ausgewogene Ernährung jedoch noch ein Spürchen wichtiger.
Ich nehme täglich drei Mahlzeiten zu mir. Zum Frühstück mag ich mein traditionelles Porridge aus Haferflocken, Pflanzenmilch und einer Portion frischen Früchten, dazu einen Kaffee. Mittag- und Abendessen bestehen aus einer zünftigen Portion Gemüse – nach Möglichkeit frisch zubereitet, dazu eine Eiweisskomponente nach Wahl – also Käse, Eier, Fisch, Hülsenfrüchte, ab und zu ein Stück Fleisch.
Ich trinke täglich 2-3 Liter Ingwerwasser. Für einen zusätzlichen Vitamin-C-Kick füge ich den ersten beiden Portionen den Saft einer frisch gepressten Zitrone hinzu. Hihi… eine kleine Anekdote am Rande: einmal habe ich den Zitronensaft irrtümlich anstatt ins Ingwerwasser in den Kaffee geschüttet. Das war vielleicht ein Muntermacher, ey! (lacht und klopft sich dabei mit der flachen Hand auf den Schenkel)
Last but not least verzichte ich zurzeit auf Alkohol. Dies primär weil Alkohol für mich nicht sonderlich förderlich ist, um einen klaren Kopf zu bewahren. Und den brauche ich aktuell mehr denn je, also den klaren Kopf, meine ich.
Wow – ich muss zugeben: bis hierhin gefällt mir dieser Plan. Und er scheint einfach umsetzbar zu sein. Die Anforderung nach täglichen Workouts erscheint mir unter Quarantäne dagegen wesentlich kniffliger?
Das ist tatsächlich so. Aber auch dafür gibt es pragmatische Ideen. Das Treppenhaus wird sich schon wundern, weshalb ich die fünf Stockwerke derzeit immer mal wieder mehrmals hintereinander hoch und runterklettere. (schmunzelt)
Funktionales Training, also Übungen mit dem eigenen Körpergewicht, lässt sich gut im Wohnzimmer praktizieren. Insbesondere die Rücken- und Rumpf-Muskulatur gilt es gezielt zu stärken. Mein improvisiertes Homeoffice an der Küchenbar ist zwar chic, fällt aber ergonomisch hochgradig durch. Jedenfalls erscheint es mir sinnvoll zu sein, den unvermeidbaren Fehlhaltungen mit ein paar gezielten Moves präventiv entgegenzuwirken.
Virtuelle Workouts auf Youtube haben gerade Hochkonjunktur. Selbst habe ich das bisher jedoch noch nicht ausprobiert. Ich bin froh, zwischendurch mal etwas ohne Bildschirm zu unternehmen. Es ist aber gut, über das Angebot Bescheid zu wissen, um bei Bedarf Abwechslung in den Workout-Alltag zu bringen.
Ein Lichtblick am Horizont: in den nächsten Tagen sollte mein faltbares Home-Bike angeliefert werden. Ich hatte es letzte Woche, als sich die Lage absehbar zuspitzte, kurzerhand in einem Schweizer Online-Store bestellt.
Das ist ja ein bunter Blumenstrauss an kreativen Ideen, ich bin beeindruckt! Und was hat es mit der klaren Tagesstruktur auf sich, die du im Pflichtenheft besonders hervorhebst?
Eine gesunde WorkLife-Balance aufrecht zu erhalten erscheint mir gerade mit der eingeschränkten Bewegungsfreiheit ein zentrales Element zu sein. Ich versuche, meine übliche Tagesstruktur so gut wie möglich aufrecht zu erhalten.
Ich stehe morgens zur gewohnten Zeit auf und nehme mir als erstes ca. 10 Minuten Zeit für einen gründlichen „Bodycheck“. Ich konzentriere mich dabei mit geschlossenen Augen auf meinen Atem und klappere sodann gedanklich jeden Winkel meines Körpers ab. Durch diesen systematischen Check glaube ich, allfällige Alarmzeichen meines Körpers oder meiner Seele frühzeitig zu erkennen und gezielt bearbeiten zu können. Der Bodycheck funktioniert bei mir am allerbesten mit leerem, frischen Kopf, deshalb nehme ich mir direkt nach dem Aufstehen bewusst Zeit dafür. Anschliessend geht’s ab unter die Dusche.
Als Frühstücksunterhaltung mag ich Hörbücher. Aktuell höre ich die Biographie von Alexander Humboldt – die ist übrigens sehr spannend, ich kann sie nur empfehlen. Hörbuch hören hat einen günstigen Nebeneffekt: Ich trainiere damit gleichzeitig aufmerksam zuzuhören und aufmerksames Zuhören erscheint mir eine wertvolle, durchaus systemrelevante Kompetenz zu sein – nicht nur in der Krise.
Aber zurück zum Tagesablauf.
Nach dem Frühstück baue ich meine Küchenbar – es ist der einzige Tisch, den ich habe – von der Frühstückstafel zum Homeoffice um. Dazu stelle ich den Bildschirm, den ich mir von meinem eigentlichen Arbeitsplatz ausgeliehen habe, auf die Tischplatte, verbinde meinen Laptop damit, krame Bluetooth-Tastatur und -Maus hervor und schon bin ich einsatzbereit. Da ich einem Team mit flexiblen Arbeitsplatz-Zonen angehöre, ändert sich ausser der Umgebung eigentlich nicht viel an der gewohnten Arbeitsplatzsituation. Meetings finden per Videokonferenz statt. Das ist an sich nichts grundlegend Neues und funktioniert soweit ganz gut.
Nach ungefähr 4 Stunden knurrt mein Magen und ich bereite mir mein Mittagessen zu. Bei schönem Wetter setze ich mich zum Essen auf meine Terrasse. Bei schlechtem Wetter, baue ich mein Homeoffice ab und rüste die Küchenbar zur Lunch-Tafel um.
Moment… könntest du nicht einfach Bildschirm und den ganzen Büro-Kram zur Seite schieben? Der Tisch ist doch gross genug?!
Es sind psychologische Gründe, die mich zu diesem Mehraufwand bringen. Ich mag nicht vor dem PC essen. Ich bin tatsächlich zu vielen Veränderungen bereit, aber dazu nicht.
Verstehe. Und nach dem Lunch baust du alles wieder um und arbeitest dort weiter, wo du vor der Mittagspause stehengeblieben bist?
Jein. Ich nutze die Mittagspause um gezielt relevante News abzurufen. Dazu nutze ich aktuell ein paar wenige, sorgfältig ausgewählte Informationskanäle. Ich brauche Fakten. Das wirre Durcheinander und Gebrüll auf den sozialen Medien raubt mir unnötig viel Energie, die mir andernorts dann womöglich fehlt. Auch hier gilt für mich: weniger ist mehr.
Anschliessend knöpfe ich mir das Treppenhaus vor (schmunzelt) oder mache ein paar Dehnübungen auf der Yogamatte. Und dann, erst dann geht es zurück an die Arbeit.
(hustet kurz in die Armbeuge)
Zu einer gesunden WorkLife-Balance gehört auch der Feierabend. In der Regel irgendwann nach 18 Uhr fahre ich meinen Computer herunter und baue mein Homeoffice ab. Je nach Lust und Laune gibt es vor oder nach dem Abendessen ein kleines Workout. Danach ziehe ich mich mit einem Buch auf meine Couch zurück. Oder ich schreibe. Oder ich schaue eine Episode meiner aktuellen Netflix-Serie – auf spanisch. (klopft sich selbstbewusst auf die Schulter).
Ich habe den Eindruck, um dich bzw. um uns muss ich mir vorerst keine Sorgen machen. Stimmt diese Annahme?
So ist es. Keine Panik auf der Titanic!
Das beruhigt mich ausserordentlich! Magst du abschliessend noch etwas zur allgemeinen Lage loswerden?
Lasst uns, wie Robinson Crusoe, geduldig und hoffnungsvoll auf Freitag warten. Es werden bessere Zeiten folgen, davon bin ich überzeugt.
Herzlichen Dank, liebste Doedel, für dieses klärende Interview und weiterhin einen erholsamen Sonntag auf der Couch.
Ich habe zu danken, mein lieber Schweinehund. Wir sollten uns öfter Zeit für einander nehmen – hab dich lieb! (formt mit Daumen und Zeigefingern ein Herz in die Luft)
*Ich nenne meinen inneren Schweinehund liebevoll „Günnter“. Immer wenn er ins Spiel kommt, lautet die Gretchenfrage: Günnter (schweizerdeutsch für „gewinnt er?“) oder „Günnter nöd?“ (gewinnt er nicht?)
3 Kommentare zu „Leben wie Robinson Crusoe – nur die Insel fehlt.“